Eine Befragung der Gewerbetreibenden in der Victoriastadt und dessen Diskussion im Wirtschaftsausschuss der BVV Lichtenberg haben deutlich gemacht, dass die Sperrung der Stadthausstraße und das dadurch verursachte Ausbleiben von Kundschaft viele Gewerbetreibende beeinträchtigt – bis hin zum Abbau von Arbeitsplätzen und sogar zur Aufgabe ihrer Geschäfte. Eine alternative Variante zur Verkehrsberuhigung wurde jedoch nicht in Betracht gezogen.
Seit dem Dezember 2023 sperrt ein Poller eine von drei Zufahrten zur Victoriastadt komplett ab. Zuvor hatte die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) Lichtenberg einen vom Verein Changing Cities angestoßenen Einwohnerantrag zur Verkehrsberuhigung des Kiezes beschlossen. Am 9. Juli 2024 hat die Wirtschaftsförderung des Bezirksamtes Lichtenberg im für Wirtschaft zuständigen Ausschuss der BVV die Ergebnisse einer Befragung von Gewerbetreibenden der Victoriastadt vorgestellt. Der Bezirksbürgermeister Martin Schaefer (CDU) berichtete einleitend von seinen kurzen Besuchen bei sechs Unternehmen am Vortag. Der Kiosk hat bereits dicht gemacht. Ein Unternehmen entlässt drei Mitarbeiter, der Inder in der Kaskelstraße wird schließen und andere Unternehmen haben ebenfalls Einbußen. Als Ursache nennen sie den fehlenden Publikumsverkehr aufgrund des Pollers. Mehrere Bezirksämter sind regelmäßig Kunden eines Geschäfts der Victoriastadt (sie leihen sich dort Gartengeräte) und leiden unter den Beschränkungen der Zufahrt. Das Bezirksamt Lichtenberg konnte zuletzt eine Lieferung nicht abholen, weil es keine Wendemöglichkeit für Lkw mehr gibt.
78 Firmen mit einem begehbaren Office der über 300 Gewerbetreibenden der Victoriastadt wurden per E-Mail oder Post angeschrieben. 21 Antworten sind bei der Wirtschaftsförderung eingegangen. Drei Viertel der Unternehmen sind bereits über zehn Jahre vor Ort und ein Drittel sogar über 20 Jahre. Insgesamt wurde eine deutliche Verschlechterung der Zufriedenheit mit dem Standort im Jahr 2024 im Vergleich zum Vorjahr angegeben. Die zentrale Frage war, inwieweit sich der Poller auf das Geschäft ausgewirkt hat. Die Antworten:
1x deutlich verbessert
2x eher verbessert
3x neutral
9x eher verschlechtert
6x deutlich verschlechtert
Martin Schaefer hat das Fazit gezogen, dass wir (Bezirksamt und Bezirksverordnete) nicht die Zeit haben, ein Jahr mit der Evaluation des Pollers zu warten (wie es im Beschluss der BVV steht). Dann wird es für weitere Gewerbetreibende zu spät sein.
Daniela Ehlers (Grüne) behauptete, dass es keine alternativen Vorschläge zur Verkehrsberuhigung geben würde, obwohl die anwesende Unternehmerin Claudia Theissen zuvor sagte, dass die Gewerbetreibenden der Victoriastadt Bodenschwellen bezahlen würden, wenn dafür der Poller entfernt wird.
Christian Petermann (LINKE) konnte aus den Zahlen und Informationen keinen Beleg für eine Vernichtung von Gewerbe ablesen. Er deutete die Zahlen so, dass ein Drittel der Firmen keine oder gute Auswirkungen hat und demgegenüber stünden zwei Drittel mit negativen Auswirkungen. Angesichts von 21 Rückläufern von 78 Angeschriebenen hatte das für ihn keine Evidenz.
Rico Apitz (FDP, Bürgerdeputierter im Wirtschaftsausschuss für die CDU) hat Christian Petermann vorgerechnet, dass drei Firmen mit positiven Auswirkungen 15 Firmen mit negativen Auswirkungen gegenüberstehen. Das Verhältnis ist also nicht 1:2, sondern 1:5. Außerdem hatte Karsten Dietrich vom Wirtschaftskreis Hohenschönhausen-Lichtenberg (WKHL) zuvor gesagt, dass er mit Unternehmern gesprochen hat, die nicht an der Umfrage teilgenommen haben, weil sie resigniert haben. Sie erwarten nicht, dass die Umfrage etwas bringt. Also ist es falsch anzunehmen, dass die fehlenden Rückläufer zumeist keine Probleme mit dem Poller haben würden.
Rico Apitz, der auch Sprecher der außerparlamentarischen Fraktion der FDP Lichtenberg ist, stellte klar: „Ein erfolgreicher Einwohnerantrag bedeutet nicht, dass eine Mehrheit das Anliegen unterstützt, sondern dass ein Thema eine so große Bedeutung hat, dass sich die BVV damit befassen muss. Daraus folgt keine Pflicht zur Zustimmung.“ An die Vertreter von LINKE, SPD und Grüne richtete er: „Angesichts der Ergebnisse der Befragung der Gewerbetreibenden bitte ich die Mitglieder des Wirtschaftsausschusses, in ihren Fraktionen als Anwälte der Wirtschaft aufzutreten und die aktuelle Beschlussfassung nochmal infrage zu stellen.“
Christian Petermann äußerte, dass aktuell eh eine schwierige wirtschaftliche Lage herrscht und man deshalb die Ursache für Probleme der Gewerbetreibenden nicht auf den Poller reduzieren könne. Die Betroffene Claudia Theissen entgegnete: „Wenn man doch weiß, dass die aktuelle wirtschaftliche Lage schwierig ist und dass die Gewerbetreibenden leiden, warum leitet man dann noch obendrauf mit einem Poller den Kundenverkehr um? Gerade jetzt müsste dafür gesorgt werden, dass wieder mehr Kunden zu uns kommen!“ Sie hat um eine erneute Behandlung des Themas im Verkehrsausschuss der BVV gebeten.
Dass es definitiv 15 Unternehmen mit wirtschaftlichen Problemen aufgrund des Pollers gibt, hat für Daniela Ehlers und Christian Petermann weniger Gewicht als das Interesse von Anwohnern an den positiven Effekten des Pollers für einen ruhigen Kiez, für Schulwegsicherheit und Luftverbesserung.
Die SPD, die in der BVV ebenfalls dagegen gestimmt hat, den Poller durch weniger drastische Maßnahmen zur Verkehrsberuhigung zu ersetzen, hat sich im Wirtschaftsausschuss nicht geäußert. Nach dem Verlauf der Diskussion ist nicht zu erwarten, dass LINKE, SPD oder Grüne ihre Position überdenken. Leider hat die Umfrage also wirklich nichts gebracht – außer Argumente gegen den Poller für die Öffentlichkeitsarbeit.