Rico Apitz

13. Nov 2022

Neue Geschäftsordnung der BVV soll Rechte von Einwohnern und Minderheiten beschneiden

Am 7. November 2022 hat der auch für die Geschäftsordnung zuständige Haushaltsausschuss in einer Sondersitzung eine Beschlussempfehlung für eine neue Geschäftsordnung der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) Lichtenberg verabschiedet. Mit dem Ziel, den Ablauf der BVV zu beschleunigen, sind erhebliche Änderungen vorgesehen.

Geändert werden soll unter anderem die Länge der Einwohnerfragestunde. Entgegen ihrem Namen ist sie bisher ohnehin nur 30 Minuten lang. Sie soll um ein Drittel auf 20 Minuten verkürzt werden. Auch die Beiträge der Bezirksverordneten sollen reduziert werden. Zu allen Beschlussempfehlungen der Ausschüsse, Anträgen der Parteien, Vorlagen zur Beschlussfassung und zur Kenntnisnahme des Bezirksamtes auf der Tagesordnung der BVV dürfen alle Bezirksverordneten bislang jeweils zweimal drei Minuten sprechen. Zukünftig soll es für alle Wortmeldungen zu den genannten Drucksachen ein Zeitkontingent geben. Jede Fraktion erhält zehn Minuten Grundredezeit plus eine Minute pro Fraktionsmitglied. Jedem fraktionslosen Einzelverordneten stehen nur noch vier Minuten Gesamtredezeit zur Verfügung. Bisher waren es sechs Minuten pro Drucksache. Nach Ablauf dieser Zeit können keine Wortmeldungen mehr aus den jeweiligen Fraktionen bzw. von Einzelverordneten zu diesen Drucksachen berücksichtigt werden.

Die FDP-Fraktion lehnt ab, dass die Rechte der Einwohner und jedes einzelnen Bezirksverordneten drastisch beschnitten werden. Für Mitglieder von Fraktionen wird es gar nicht mehr möglich sein, aus eigenem Antrieb heraus das Wort zu ergreifen, ohne dass die Fraktion dies vorher gestattet. Fraktionslose Bezirksverordnete, die ggf. eine gesamte Partei vertreten, können nur noch eine einzige Debatte zu einem Antrag führen oder zu zwei Anträgen jeweils zwei Minuten sprechen.

Rico Apitz, der Vorsitzende der FDP-Fraktion in der BVV kommentiert: „Wenn gegen Ende der Tagesordnung die Zeitkontingente für Wortmeldungen zur Neige gehen, wird einfach ohne Redebeiträge abgestimmt werden. Ohne eine öffentliche Debatte, in der alle politischen Positionen zu Wort kommen können, wird die Demokratie entwurzelt. Die weitere Verkürzung der bereits halbierten Einwohnerfrage-‚Stunde‘ beschädigt ebenfalls das Interesse für Kommunalpolitik und bürgerschaftliches Engagement.“

Hintergründe:

Zuletzt hat die BVV Lichtenberg ihre Tagesordnung nicht mehr an einem Termin geschafft und brauchte stets eine Verlängerungssitzung. Die Mehrheit der Bezirksverordneten möchte den zusätzlichen Termin vermeiden und nimmt dafür Einschränkungen der Mitwirkungsmöglichkeiten von Einwohnern und drastische Einschränkungen der politischen Handlungsfähigkeit von Minderheiten in Kauf.

In der Debatte im Haushaltsausschuss hat eine Vertreterin des Lichtenberger Rechtsamts die Budgetierung klar und deutlich kritisiert: die Beschränkungen zu Gunsten der Straffung seien problematisch. Der Meinungsaustausch wird stark eingeschränkt und feste Budgets an die Fraktionszugehörigkeit zu knüpfen, beschränkt die Rechte der Bezirksverordneten. Man müsse seine Meinung während der Diskussion ändern dürfen.

Das hat LINKE, SPD, CDU und Grüne nicht davon abgehalten, die Regelungen trotzdem der BVV Lichtenberg zum Beschluss vorzulegen. Im Dezember soll die neue Geschäftsordnung beschlossen werden und ab 1. Januar 2023 in Kraft treten.

Die FDP-Fraktion wird mindestens vier Änderungsanträge stellen. Die Einwohnerfragestunde soll weiterhin bis zu 30 Minuten dauern dürfen. Eine Verlängerung dieser Zeit wäre nahe liegender als eine Verkürzung.

Die Prioritäten der Fraktionen sollen als eigener Tagesordnungspunkt gestrichen werden. Durch eine andere Neuerung der Geschäftsordnung würden Anträge aller Fraktionen abwechselnd aufgerufen werden und nicht mehr in der Reihenfolge ihrer Einreichung. Die Prioritäten verleiten aktuell dazu, dass Vorträge zu Anträgen gehalten werden, die über die Liste der Drucksachen ohne Aussprache direkt in einen Ausschuss überwiesen werden könnten.

Außerdem wird die FDP Änderungsanträge stellen, um die Auswirkungen der budgetierten Redezeiten abzumildern. Nach dem Vorbild der Geschäftsordnung der BVV Marzahn-Hellersdorf müsste die BVV die Begrenzung der Redezeiten für jede Sitzung beschließen. Fraktionen mit zehn und mehr Mitgliedern würden jeweils eine Gesamtredezeit von 20 Minuten erhalten und Fraktionen mit weniger als zehn Mitgliedern jeweils 15 Minuten. Fraktionslose Einzelverordnete dürften insgesamt zehn Minuten sprechen.

Es bliebe ein starker Eingriff in die Rechte der einzelnen Bezirksverordneten, die Auswirkungen würden aber abgemildert werden, wenn Einzelverordnete zumindest zu fünf Drucksachen sprechen können anstelle zu zwei. Eine Beschleunigung der Arbeit der BVV darf nicht um jeden Preis erfolgen.

Die BVV-Fraktionen sollten sich fragen, ob wirklich jeder Aufruf einer Drucksache zur Aussprache erforderlich ist. In den Debatten ist es aktuell normal, dass sich zwei bis drei Mitglieder einer Fraktion beteiligen und diese dadurch in die Länge ziehen.

Die neuen Regeln werden dazu führen, dass über Anträge abgestimmt wird, ohne dass alle für die Beschlussfassung relevanten Punkte diskutiert wurden. Es wird Mehrheiten geben, die Anträge ohne vorherige Begründung ablehnen, weil sie ihnen kein Zeitbudget wert sind. Dann gibt es für die Gegenseite keine Chance, die Argumente zu hinterfragen und ggf. zu widerlegen.

Rico Apitz ergänzt: „Demokratische Prozesse sind nicht im Schnelldurchgang zu haben. Diskussionen dürfen nicht abgewürgt werden und Minderheiten dürfen nicht vom politischen Austausch abgehalten werden. Die Bezirksverordneten bekommen eine ausreichende Aufwandsentschädigung, um auch zweimal pro Monat zu tagen. Am Ende sind die Bezirksverordneten selbst dafür verantwortlich, wenn die Tagesordnung nicht geschafft wird. Dann müssen sie auch die Konsequenzen ihres Handelns tragen und dürfen nicht einfach Einwohnern und Minderheiten ihre politischen Gestaltungsspielräume verengen.“

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